Meine Ankunft auf der Insel

Vor einiger Zeit zog ich auf die Insel, um mich auf das Abenteuer Großbritannien und Irland einzulassen.

Fragte man mich damals, was ich an der Englischen Küche nicht missen möchte, dann musste ich schon etwas länger überlegen. Als Erstes kamen mir Baked Beans in den Sinn und dann vielleicht noch das schlechte Weißbrot, welches niemand im Land zu beanstanden hat, in mir jedoch jedes Mal den Wunsch hegte, allein aus diesem Grund, schnellstmöglich wieder nach Deutschland zurück zu kehren.

Essen ist für mich die schönste Sache der Welt- das steht ganz außer Frage. Dachte ich über die Küche Großbritanniens nach, so fielen mir jedoch in erster Linie Fast Food und überkochtes Gemüse ein. Selbst meine englischen Freunde machten sich über die hausfraulichen Fähigkeiten ihrer Mütter lustig und sagten, dass beim Kochen daheim erst dann das Gemüse vom Herd genommen werden darf, wenn man ganz sicher sein kann, dass auch wirklich keine Vitamine mehr darin zu finden sind.

Was macht das Phänomen Englische Küche also eigentlich aus und wie schafft sie es, trotz der vielen schlechten Kritiken, fettig und vorwiegend sehr ungesund zu sein, im Gespräch zu bleiben?

Liegt der Schlüssel in der Verbindung zwischen Tradition und Moderne? Die klassische Tea Time, die es nach wie vor in jedem gehobenen Restaurant gibt und die zum guten Ton eines jeden Hauses gehört oder das warme und weltweit bekannte English Breakfast. Beides sind Beispiele der klassisch englischen Küche. Nicht jeder zelebriert diese kleine Auszeit täglich oder in regelmäßigen Abständen, jedoch möchte es auch niemand missen. In England gehört der Nachmittagstee (Tea Time) zum guten Ton und ist genauso wenig wegzudenken, wie der typisch britische Akzent oder die vielen Regenergüsse der Insel.Schaut man sich jedoch TV-Köche wie Gordon Ramsay oder Jamie Oliver an, erlebt die Englische Küche einen Hype wie kaum eine andere, ohne dabei auf fremde kulinarische Einflüsse angewiesen zu sein.

Die Britische Küche

Die Britische Küche ist herzhaft und würzig. Ihre Süßspeisen machen süchtig und lassen die Herzen von Jung und Alt höherschlagen.

Was macht die britische Küche genau aus?

Durch die Kolonialzeit hatten die Briten schon sehr früh einen vereinfachten Zugang zu exotischen Gewürzen und Lebensmitteln. Und so kamen nicht nur diese neuen Schätze ins Land, sondern auch Arbeiter/innen aus anderen Ländern, die die Kochgewohnheiten und die Kochstile beeinflussten.

Mit dem Ende der Kolonialzeit konnten sich viele Herrschaftshäuser den Luxus der Dienstbotenanstellung nicht mehr leisten und so kam es, dass viele Gerichte nicht mehr weiterentwickelt oder nur noch sehr vereinfacht nachgekocht wurden.

Wie vermutlich in jedem Land der Welt lernt man über das Essen die Menschen kennen und über die Menschen auch das Essen. Ich glaube, dass dies der Faktor ist, der uns ein Land lieben oder hassen lässt. Da ich die deutsche Hausmannskost liebe, war mein „Ankommen“ dementsprechend ernüchternd. Ich hatte das Gefühl, dass es auf der Insel ausschließlich Kartoffeln in jederlei Zubereitungsart gibt. Gefühlt am liebsten als Chips, aber auch als Fries und Gratin hoch im Kurs. Ich sehnte mich nach knackigen Salaten, den Körnerbroten und den gefühlt 100 verschiedenen Käsesorten, bis mich bis dato täglich „begleiteten“.

Trotz meiner schlechten kulinarischen Meinung zur Britischen Küche verging die Zeit wie im Flug und es dauerte ein Jahr, bis ich wieder nach Deutschland zurückkehrte.

Schaue ich heute zurück, dann liebe ich mittlerweile (fast) alles, was ich dort aß. Die viel zu sehr gegarten Kartoffeln, die mit einem ordentlichen Klecks Crème Fraîche erst richtig toll waren und die, wenn sie aus dem Ofen kamen, immer etwas verbrannt waren. Den Cheddar, den es entweder in goldgelb oder in kräftig orange gab und der mich vergessen ließ, dass ich auch andere Käse sehr mag – oder den English Breakfast Tea – der mit Milch tatsächlich besser schmeckt.

Woher kam diese schleichende Liebe zum Land und zu dessen Leuten?

Ich denke es liegt an der Mentalität der Menschen. Das Klima auf der Insel ist -aus meiner Sicht – von Region zu Region recht undankbar. Man gewöhnt sich an den Regen – auch wenn man ihn nicht mag. Irgendwann kommt der Punkt, an dem er einen nicht mehr stört, weil er nicht kalt ist.

Also was passiert, wenn es einmal etwas länger nicht regnet? Genau! Jeder geht raus in die Sonne. Nicht umsonst sieht man so viele Engländer in den schönsten sonnigen Urlaubsgebieten, die so sehr verbrannt sind – weil sie einfach die permanente Sonne übermäßig genießen.

Auf einmal hat gefühlt jeder einen Grill daheim und lädt Nachbarn und Freunde ein. Es gibt dann keine schlechte Laune mehr und jeder redet übers Wetter und kommt durch diese gleiche Basis miteinander ins Gespräch. Jeder versteht sich gut miteinander und man bekommt das Gefühl, dass diese positiven Energien alle vorherigen Barrieren, die bis dato wahrscheinlich nur im Kopf herumgeisterten, verschwinden. Ist das Wetter schlecht, trifft man sich in den Pubs und regt sich dort auf, warum das Wetter wieder einmal so schlecht ist. In der Regel trinkt fast jeder Bier, da man auf diese Braukunst nach wie vor enorm stolz ist und es – wie in Deutschland – einfach gut schmeckt. Es kommt vom Fass, ist erfrischend und passt zu den deftigen Speisen der Insel. Dementsprechend wird die Stimmung schnell heiter und man bleibt automatisch länger als geplant – auch um sich am nächsten Tag im Pub von den spaßigen Ereignissen des letzten Tages zu erzählen. In den Pubs habe ich gelernt, dass es zwar theoretisch möglich ist, nur ein Pint zu trinken, Dich die Stimmung dort aber schnell eines Besseren belehrt. Umso weniger war ich dann auch verwundert, dass der Pub von den Einheimischen meist täglich besucht wird.

Die Briten waren die ersten, die mir erzählten, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn jemand mal nach einer „langen“ Nacht mit einem Kater zur Arbeit kommt, denn – jedem ging es schon einmal so! – . Die Briten und Iren sind eben nicht nur sehr gesellige, sondern auch sehr „verständnisvolle“ Menschen.

Die Pubs sehen noch gefühlt wie vor 100 Jahren aus. Innen findet man robuste Möbel mit schweren Stoffen und dunklen Holztönen. Jeder Pub wirkt irgendwie wir ein Wohnzimmer, denn an alles Ecken und Enden findet man persönliche Erinnerungen von Gästen, Fotos und Widmungen. Die Barkeeper sind die wahren Stimmungsbomben. Erzählen Sie auch manchmal nicht viel, weiß jeder, dass sie die besten Geschichten des Ortes kennen.

In den Pubs gibt es einfaches und sehr leckeres Essen. Suppen, Sandwiches und Fish& Chips sind ewige Begleiter. Lebt man erst einmal eine Zeit lang auf der Insel, freut einem nichts mehr, als eine einfache Suppe oder eben Fish & Chips. Geradeweil die Briten und auch die Iren, meiner Meinung nach, so gern erzählen, entstand auch die Leidenschaft für schnelle Gerichte, die man leicht snacken kann oder auch herzhafte Speisen, die in der Zubereitung keine große Aufmerksamkeit benötigen.

(Zum Beispiel „Das Gurkensandwich“, dass es bis heute noch in die besten Häusern des Landes schafft). Wer hat schon Lust, lange in der Küche zu stehen, wenn die Party sich in einem anderen Raum befindet? Und wer möchte lange räumen und neu eindecken, wenn man viele Köstlichkeiten auf dem Tisch hat und jeder von jedem Teller probieren kann. Bei der Tea Time sieht es ähnlich aus (auch wenn die vor langer Zeit von den Hausangestellten zubereitet und serviert wurde).

Die Einfachheit der Dinge…

Mein Jahr in England und Irland war (fast) durchgehend verregnet – da hat man kaum Lust, sich jeden Tag stundenlang vor dem Spiegel herzurichten, wenn man weiß, dass die Luftfeuchte draußen ihr Übrigens mit der Frisur und dem Makeup machen wird. Von den Schuhen, die es bis zum Pub über Schotterwege schaffen müssen, ganz zu schweigen. Ja ja… Nicht alles in England ähnelt der Metropole Londons…

Während meiner Zeit auf der Insel habe ich diese robuste Art der Inselaner zu verstehen und lieben gelernt.

Man vergeudet keine Zeit für Unnötiges. Jeder hätte die Möglichkeit in einem seidenen Blazer in den Pub zu gehen – man kann aber auch in einer robusten Jacke kommen und niemand wird es einem verübeln, da am Ende des Tages eh niemand mehr den Jacken Achtung schenken wird. Zudem ist der Regen auf der Insel dein ständiger Begleiter…

Dieses meist einfache und rustikale Leben spiegelt sich für mich auch in der Küche der Insel wieder. Die Küche hat feine Clous, die jedoch nicht optisch hervorstechen, weswegen sie auf den ersten Blick sehr häufig unterschätzt werden. Die Gerichte sind zum allergrößten Teil simpel, aber sehr schmackhaft. Man legt weniger Wert auf die Optik, als auf den Geschmack. Aufgrund des meist rauen Wetters sind auch die Gerichte oftmals schwer und fettig, da sie wärmen sollen und früher den Arbeitern in erster Linie Kraft, um den Tag zu überstehen, gaben.

Heute hat sich an den rauen Wetterbedingen wenig geändert, auch nicht an der Mentalität der Leute, jedoch sind aufgrund der Globalisierung die Einflüsse von außen stärker geworden. Je schnelllebiger eine Zeit ist, desto mehr lernt man vielleicht die alten Zeiten zu schätzen. Irgendwie kennen wir ja alle das Gefühl, dass vieles von früher einfach besser oder auch einfachen war. Zum Glück ist der Mensch halt so gepolt, dass meist nur die guten Erinnerungen länger bleiben.

Während meiner Reise durch Großbritannien und Irland habe ich stolze Briten und Iren kennengelernt, die auf Ihre Nationalspeisen stolz sind, da sie sie mit Kindheitserinnerungen, dem Heimatgefühl und ihrem schönen Land verbinden. Black Pudding ist genauso wenig aus den Köpfen der Menschen wegzudenken, wie Rugby oder die Liebe zum Golfen.

Für mich zeichnet die Britische Küche Ihre Herzhaftigkeit aus. Im ersten Moment scheint nichts filigran zu sein. Der Geschmack ist weder nur fettig noch flach. Es gibt – wie in jeder anderen Küche der Welt – kein Schwarz- und Weißdenken. Briten und auch Iren lieben Ihr Land und Ihre Kultur so sehr, dass sie sie mit dem Kochen der traditionellen Gerichte erhalten und ihre Geschichte dadurch erzählen möchten. Denn – wie überall – erzählen uns die Gerichte auf dem Teller die Geschichte der Menschen, die sie kochen.

Die Schatzkiste England

Auch wenn England nach wir vor wenig Ruhm für seine Kochkunst erntet, so gibt es auch unglaublich viele Dinge auf der Insel zu entdecken, die es zur kulinarischen Fundgrube machen.

Mit der Beschaffenheit der Insel lässt sich leider wenig Gemüse geschweige denn Obst nachhaltig anbauen. England punktet stattdessen mit der Viehzucht. Die Aberdeenrinder, die gebürtig aus Schottland stammen, und die Herefordrinder sind aus keinem Steakhouse mehr weg zu denken. Mit den saftigen Weiden und der Weite der Insel, die eine reine Stallhaltung unnötig machen, ist Großbritannien mitunter einer der wichtigsten Fleischlieferanten im Premiumfleischsegment für Deutschland geworden.

Aber nicht nur das Fleisch, sondern auch die Milchprodukte sind durch die sorgfältige Kontrolle und die Aufmerksamkeit der Züchter in Hinblick auf das Wohl der Tiere von bester Qualität.  Hierbei ist nur am Rande zu erwähnen, dass die Landwirtschaft 70% der Gesamtnutzfläche Großbritanniens beansprucht.

Meine Rückkehr nach Deutschland

Heute arbeite ich in München, im Britischen Steakhouse Little London, geführt von einem Österreicher, betrieben von einer Familie mit schwedisch-bayerischen Wurzeln.

Im Herzen der Münchener Altstadt gibt es für mich keine Lokalität, die trotz des „Fehlens“ der Briten, mehr England für mich wiederspiegelt.

Die Speisekarte lässt keine Zweifel zu, dass, das Konzept und die Werte, die ich in England und Irland kennen und schätzen gelernt habe auch in diesem Laden zur Maxime erklärt wurden.

Die Gerichte sind von rustikaler Eleganz, aber außerordentlich hochwertig und lassen saisonbedingt auch Einflüsse aus anderen Ländern zu. Dadurch entstehen neue spannende Kreationen, die das ursprünglich traditionelle mit dem Modernen verbinden.

In einer schnelllebigen Zeit wie der heutigen, in der man oftmals die kleinen, schönen Dinge des Alltags vergisst, ist das Little London für mich ein Platz, den ich nicht mehr missen möchte. Es ist nicht nur ein Steakhouse oder Pub in dem ich sehr gut essen kann, die Karte mit ihren englischen Bieren und irischen Akzenten ruft in mir wunderschöne Erinnerungen an meine Zeit auf der Insel hervor. Täglich fällt mir auf, wie Menschen, die sich zuvor größtenteils nicht kannten, sich näherkommen und ins Gespräch vertieft sind, weil es, wie in vielen englischen Pubs, kein Internet gibt und sich die Gäste wieder auf sich und ihre Umgebung konzentrieren.

Franziska